Die Ringe der Macht: Eine Legierung aus Genie und Unzulänglichkeiten

Die erste Staffel von Amazons Tolkien-Serie ist nicht perfekt und mit 700 Millionen US-Dollar Produktionskosten auch wohl zu teuer, aber Spaß macht sie dennoch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 227 Kommentare lesen

Die ersten drei Ringe der Macht: Ein bisschen Mithril kann viel bewirken, wenn man es etwas streckt

(Bild: Amazon Prime Video)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Hinweis: Diese Rezension ist, abgesehen von Hintergrund-Details aus Tolkiens Mythologie weitestgehend Spoiler-frei.

Als der zu diesem Zeitpunkt noch unerkannte Sauron dem Elbenschmied Celebrimbor vorschlägt, das wenige Mithril im Besitz der Elben mit anderen Metallen zu einer Legierung zu verschmelzen, um die Ringe der Macht zu erschaffen, erklärt er, dass eine solche Legierung aus edlem und weniger edlem Metall die Qualität des Ergebnisses verbessert. Aber was er eigentlich erreichen will, ist das unglaublich seltene Mithril zu strecken, damit es ausreicht, um mehrere Ringe zu schmieden. Diese Szene der letzten Folge der ersten Staffel von Amazons "Die Ringe der Macht" ist eine perfekte Metapher für die gesamte Serie. Amazon arbeitet mit sehr wenig Mithril (den für die Serie verwendbaren Teilen der literarischen Vorlage Tolkiens), um seine Ringe der Macht zu schmieden. Das Ergebnis ist durchwachsen, denn es besteht aus einer Legierung aus den Überresten von Tolkiens Genie, gemischt mit den Fehlern weniger guter Schreiberlinge.

Was nicht heißen soll, dass "Die Ringe der Macht" keine gute Serie ist. Sie ist zusammen mit der ersten Staffel von Netflix "The Witcher" wahrscheinlich das Beste an klassischer Fantasy im Fernsehen, das in den letzten zwanzig Jahren produziert wurde. Und die Serie ist bisher um Klassen besser als der direkte Konkurrent "House of the Dragon" von HBO. Es macht durchaus Spaß, die acht Folgen der ersten Staffel der "Ringe der Macht" anzusehen. Nur bei der Frage, ob diese erste Staffel ihre knapp 700 Millionen US-Dollar an Produktionskosten wert war, drängen sich Zweifel auf. Aber im Endeffekt kann einem das als Zuschauer ja auch egal sein, wenn einem das Ergebnis Freude bereitet.

Amazons Serie leidet am meisten durch die idiotische Marketingstrategie, welche die Firma durchweg verfolgt hat, um Zuschauer dazu zu bewegen, die Serie zu sehen. Anstatt die epische Rückkehr auf den Kontinent Mittelerde zu bewerben, die sich so viele Zuschauer gewünscht hatten, konzentrierte man sich vor allem darauf, politische Aussagen zur Besetzung zu tätigen und einen Großteil von Tolkiens Kern-Fangemeinde anzugreifen, die mit diesen politischen Aussagen nicht einverstanden waren. Anstatt einfach eine mannigfaltige Besetzung aus unterschiedlichen ethnischen Gruppierungen und gleichberechtigten Geschlechtern zusammenzustellen und dann eine brillante Fernsehserie abzuliefern, musste diese Besetzung und die damit einhergehende progressive politische Ausrichtung als das Wichtigste an der Serie dargestellt werden.

Als treue Fans von Tolkiens literarischer Vorlage darauf zurecht verwundert und zum Teil auch verärgert reagierten, reichten die Produzenten und PR-Strippenzieher von Amazon ihnen nicht etwa im Frieden die Hand und beschwichtigten sie mit Aussagen und Filmmaterial, welche die Brillanz der Serie aufzeigen. Nein, ganz im Gegenteil: Die Serienmacher gingen frontal in den Angriff über und begannen regelrecht einen Krieg mit ihrer stärksten Zielgruppe. Das Ganze erinnert an neue Star-Trek-Serien wie "Picard" und "Discovery", denen es hauptsächlich daran gelegen scheint, die treuesten Star-Trek-Fans zu vertreiben und durch eine Zielgruppe zu ersetzen, denen Beteuerungen von politischer Tugendhaftigkeit wichtiger sind als der eigentliche Gehalt von Dialogen oder die interne Logik eines Drehbuchs.

Hätte Amazon diesen unsinnigen PR-Krieg gar nicht erst begonnen und sich statt der Metadiskussionen darauf konzentriert, den eigentlichen Inhalt der Serie im bestmöglichen Licht darzustellen, würden sicherlich viel mehr Zuschauer das Gute in dieser Serie wahrnehmen. So verbringen manche aus Trotz ihre Zeit damit, nur ihre Schwächen zu finden.

Natürlich ist diese Serie kein Meisterwerk. Wie könnte sie das auch sein? Sie baut ja auch nicht auf Tolkiens literarischem Meisterwerk auf, sondern auf dem Addendum zu diesem Werk. Aber sie ist eine wirklich gute Fantasy-Serie, die erfolgreich das Gefühl vermittelt, zurück in Mittelerde zu sein. "Die Ringe der Macht" bieten erstklassige Schauspieler, großartige Kulissen und Spezialeffekte sowie größtenteils Dialoge, die dem Setting angemessen sind. Nein, die Figuren und die Geschichte sind nicht auf dem Niveau vom "Herrn der Ringe". Weder von der Buchvorlage noch von Peter Jacksons Film-Trilogie. Aber wie sollten sie es auch sein? Tolkien ist nun mal tot und wenn man den Anhang eines Buches verfilmen will, muss man ihn selbst mit eigenen Texten mit Leben füllen. Dass kein Drehbuchschreiber in Hollywood heutzutage in der Lage ist, mit Tolkiens Genie mitzuhalten, kann auch alles Geld der Welt – oder zumindest eine Milliarde Dollar von Amazon – nicht ändern.

Die Serie hat auch einige Plotlöcher, oder zumindest wirft die Geschichte Fragen auf, die sie nicht beantworten kann. Aber im Großen und Ganzen ist das alles im verträglichen Rahmen. Zumal Mysterien und unerklärte Phänomene ja durchaus ein Kernstück der Buchvorlage und der dazugehörigen Mythologie sind.